Elfriede Dräger - Starke Frauen zum Weltfrauentag 2021
Im Internet ist kaum etwas zu finden über diese Frau, außer ihr Buch „Lebenserinnerungen“[1] und Infos zu ihrer Stiftung in Lübeck.
Dabei hat sie, meiner Meinung nach, unsere Aufmerksamkeit verdient. Denn nachdem ich die noch unveröffentlichte Biografie von Dr. Christian Dräger las, weiß ich: diese Frau spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Drägerwerks. Und somit, finde ich, spielt sie auch eine wichtige Rolle für Lübeck!
Ich lese derzeit viel über die ersten Unternehmerinnen und auch die ersten promovierten Frauen wie Dr. Dorothea Erxleben. Wenn ich von der ersten Damenverbindung[2] 1899 an der Bonner Universität rede, fragen viele ungläubig: „Durften Frauen damals überhaupt schon studieren?“. Ja, das war möglich! 1754 wurde Dorothea Erxleben sogar schon die erste promovierte Ärztin. Dies war ihr jedoch nur möglich, nachdem sie Friedrich den Großen kontaktierte und dieser die Universität Halle anwies, Dorothea zur Promotion zuzulassen[3]. Denn eigentlich blieb ihr jeglicher Zugang zu Universitäten als Frau verwehrt. Was für eine mutige Frau, dass sie sich traute den König von Preußen um Hilfe zu bitten!
Und auch vor Elfriede Dräger habe ich viel Respekt, wenn ich lese, dass sie 1928, nach dem Tod ihres Mannes Dr. Bernhard Dräger, Alleinerbin des Drägerwerks war. Eine taffe Unternehmerin, finde ich - auch wenn sie dort nie eine Position einnahm, sondern nur Frau, Mutter und später Großmutter der Chefs war.
Elfriede Charlotte Margarethe Dräger wurde am 16.07.1876 in Kirchwerder bei Hamburg als Tochter von Andrea Stange und dem Distriktarzt Dr. Otto Stange geboren.
Ihren Mann, Dr. Bernhard Dräger, lernte sie kennen, da sein Vater und ihr Vater gut befreundet waren.
Christian Dräger erzählt über sie in seiner Biografie[4]:
„Ich weiß nicht, warum mein Vater gerade mich als Nachfolger vorgesehen hatte, aber ich ahne es: Elfriede, meine Großmutter, dürfte da eine Rolle gespielt haben. Ich weiß nicht, wie mein Vater meine Neigung zum Basteln sonst festgestellt haben könnte. Elfriede wusste davon. Ich hatte nicht den Eindruck, dass mein Vater sich für meine Basteleien interessierte. Ich weiß nur, dass er indirekt davon überhaupt erfahren hatte.“
Weiter berichtet er:
„Ich war mit dem Unternehmen seit meiner Kindheit vertraut, weil ich in den Ferien regelmäßig bei meiner Großmutter [Elfriede Dräger] war. Ich habe dann – teils aus Interesse, teils um ein bisschen Geld zu verdienen – hier gearbeitet. Die erste Arbeit, die ich gemacht habe, war in der Tischlerei; weil ich mich zu Hause mit Tischlerarbeiten beschäftigt hatte.“
„Mein offizieller Eintritt in das Unternehmen, der stellte sich gewissermaßen gar nicht dar. Irgendwie ist es meinem Vater gelungen, uns so zu erziehen, dass man sagte: ,Ja, also Christian, der soll es dann mal machen!‘ Dahinter musste meine Großmutter stecken, dass mein Vater sehr früh auf die Idee kam, ich solle irgendwann die Geschäfte führen. Ich war derjenige, der am meisten gebastelt hat, weil ich Lust dazu hatte. Kurzum: Ich hatte offensichtlich von allen das meiste technische Interesse.“
Und auch schon bei der Entscheidung, wer die Nachfolge von ihrem Mann antritt, spielte ihre Meinung eine große Rolle wie Dr. Christian Dräger erzählt:
„Mein Vater war gelernter Landwirt. Als sein Vater, Dr. Bernhard Dräger, 1928 ziemlich früh verstarb, hatte meine Großmutter ihm gesagt: ´Heinrich, ich brauche dich jetzt!´ Und so hat er die Landwirtschaft, der er sehr gerne nachging, einfach fallen gelassen und den Posten seines Vaters, als Leiter des Drägerwerks, übernommen. Bewundernswert, wie er die so verliehene Autorität innerhalb kurzer Zeit in eine eigene umwandeln konnte! Verliehen durch seine Mutter, die sagte: „Der Vater ist jetzt tot, aber Heinrich macht das jetzt weiter!“
Als es bei der Übernahme dann aber zu Konkurrenzkämpfen mit seinem zukünftigen Schwager kam, wendeten sich die leitenden Angestellten persönlich an Elfriede Dräger:
„Sehr verehrte gnädige Frau Dräger, es besteht die Gefahr, dass Ihr Sohn Heinrich das Werk verlässt, da er sich überhaupt nicht verträgt, mit Ihrem zukünftigen Schwiegersohn. Dieser beansprucht, hier das Sagen zu haben. Das können wir aber nicht dulden! Verehrte, gnädige Frau: Sorgen Sie bitte dafür, dass Heinrich bei uns bleibt. Wir brauchen ihn!“
Elfriede Dräger hat dann dafür gesorgt, dass der Verlobte ihrer Tochter woanders unterkam.
Aber sie war nicht nur eine Unternehmerin, die im Hintergrund agierte, sondern auch Musikliebhaberin. Hier Auszüge aus ihren „Lebenserinnerungen“ wie sie ihren Mann, Dr. Bernhard Dräger, damals in Lübeck kennenlernte:
„Der Weg kam mir endlos lang vor gegenüber den kleinstädtischen Bergedorfer Verhältnissen. Da tauchte das Haus plötzlich auf. Ich ging hinein und fand Heinrich und Tony Dräger zusammen am Kaffeetisch, wo ich gleich mit Platz nehmen durfte. Nachdem ich mein Buch abgeliefert hatte (von ihrem Vater an seinen Freund Heinrich Dräger), kamen wir bald auf gemeinsame Vierländer Erinnerungen zu sprechen, und dann ging es um Musik und Literatur. (…) dann bat mich Tony Dräger, ob ich ihr nicht ein paar Lieder oder Auszüge aus Sonaten oder Operetten vorspielen wolle. So saß ich bald am Klavier und spielte Volkslieder und andere hübsche Stücke, die ich unter den Noten fand. Inzwischen war der ältere Sohn, Bernhard, nach Hause gekommen. (…) Bernhard und ich fanden rasch gemeinsame Interessen und Gesprächsthemen. In Vierlanden waren wir auf demselben Teich Schlittschuh gelaufen, aber immer zu verschiedenen Zeiten. (…) Bernhard Dräger und ich hatten uns in Vierlanden nie gesehen; aber als wir jetzt zusammenkamen, war es, als ob wir uns schon lange gekannt hätten, denn die Kindheitserinnerungen die Bilder unserer Heimat und die Bindung an die Menschen dort bescherten uns geradezu ein Wiedersehen. Bald jedoch wurden die Gespräche über die alte Zeit durch neue gemeinsame Interessen abgelöst. (…) Bei dem langen Heimweg zu meiner Großmutter kam mir der Weg gar nicht mehr so langweilig vor wie auf dem Hinwege, denn Bernhard Dräger begleitete mich und es fanden sich so viele gemeinsame Interessen und Berührungspunkte.“[5]
Wie sie kurz vor ihrem Tode in einer privaten Audioaufnahme mit Christian und Heinrich Dräger im Jahre1957 erzählte, war vor allem ihr Onkel Hermann Stange[6] der Mensch, der sie mit Musik vertraut machte:
„Und Onkel Hermann freute sich so mit uns über das Zusammensein, das war für ihn dann doch so die Fortsetzung mit seiner früheren Erinnerung an Kirchwerder. (…) Wo er mich dann so heran kriegte um Klavier zu üben und dann kam ich eines Tages herunter und sagte: ´Musst du immer noch üben Onkel Hermann? Du spielst ja immer fort nur dasselbe Stück.´
Da sagte er: ´Ja ich will mit Brahms auf dem nächsten großen Konzert von unserem Musikverein vierhändig spielen. Er spielt natürlich die obere Partie und ich unten. Aber das muss ich ja nicht üben.´
Und dann drehte er sich zu meinem Vater um und sagte: ´Ich möchte nämlich so gerne den Holsteinern Brahms näherbringen und dann muss man ja auch mal in Konzerten zu so billigen Mitteln greifen und muss den Komponisten selbst erscheinen lassen. Denn in Wirklichkeit hat ein Opermann wie Brahms das ja gar nicht nötig. Aber es ist merkwürdig, die Holsteiner, die kommen gar nicht so recht mit ihm zusammen und reagieren nicht auf seine Musik. Und er ist doch Hamburger, er ist doch Norddeutscher, das müsste doch gehen! So spiel ich mit ihm seine neuen Liebeswalzer, seine letzten Kompositionen auf dem nächsten Konzert vierhändig, um ihn dem Volk mal näher zu bringen. Das hat ja manchmal merkwürdigen Einfluss. Denn in Wirklichkeit ist Brahms prachtvoll für die Holsteiner, die sind nur noch nicht dahintergekommen.´“
Fotos: © „Lebenserinnerungen“, Elfriede und Lisa Dräger, 1990
[1] „Lebenserinnerungen“, Elfriede und Lisa Dräger, 1990
[2] SCC2005, Verzeichnis aller studentischen Korporationen
[3] https://www.deutschlandfunk.de/vor-300-jahren-geboren-deutschlands-erste-aerztin.871.de.html?dram:article_id=336660, Wortlaut des Briefes
[4] „Christian Dräger – Biografie“, Nils Schiffhauer, Björn Wölke, 2917, unveröffentlicht
[5] „Lebenserinnerungen“ Elfriede Dräger S.46 ff.
[6] Hermann Stange (1835-1914) akademischer Musikdirektor der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel